SDG Blog #10: WENIGER UNGLEICHHEIT

Ulrike/ November 1, 2021/ SDG/ 2Kommentare

Schön, dass wir nicht alle gleich sind. Dass wir unterschiedlich sind und aussehen, unterschiedliche Lebensentwürfe, Ziele, Wünsche und Träume haben, unterschiedliche Herkunft, Erfahrungen und Erinnerungen, unterschiedliche Rituale und Werte, unterschiedliche Lieblingsfarben und Lieblingsessen. Wie könnten wir sonst, also ganz ohne Unterschiede, voneinander lernen, neue Perspektiven einnehmen, miteinander streiten und ständig unser Weltbild erweitern? Unterschiedlichkeit ist ja mittlerweile ein Wert an sich: Diversität. Wenn die UN mit diesem Nachhaltigkeitsziel #10 nun „Weniger Ungleichheit“ fordern, dann ist natürlich nicht gemeint, dass wir weniger unterschiedlich aussehen und sein sollen, es ist eher eine Forderung nach Gleichbehandlung, nach Chancengleichheit für alle. Eine moderne Gesellschaft muss es schaffen, allen Menschen die gleichen Chancen anzubieten. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb.

Die Ungleichheit mit den größten negativen gesellschaftlichen Auswirkungen (Krise der Demokratie, Nationalismus, Trump, Brexit) ist die Ungleichverteilung von Eigentum und Mitteln, die wiederum den Zugang zu Bildung, zum Gesundheitswesen und zum kulturellen Leben bedingt. Diese Ungleichheit wird in Zeiten der Identitäts-Politik oft übersehen. Denn sie verläuft quer zur Ungleichbehandlung von Menschen mit unterschiedlichem Geschlecht, Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlicher Religion und Kultur.

Eine Gesellschaft kann durchaus Reiche, Arme und eine Mittelschicht umfassen. Angesichts des übermäßigen Anstiegs der obersten Vermögen stellt sich allerdings die Frage, wie viel einseitiger Vermögenszuwachs hinnehmbar ist, also die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Die reichsten Milliardäre wie Bill Gates, Jeff Bezos und Bernard Arnault aus der Luxus-Waren Industrie besitzen je ca. 100 Milliarden EUR. Vor zehn Jahren besaßen die reichsten Milliardäre ca. 30 Milliarden. Fünf Jahre davor waren es noch 5 Milliarden. In derselben Zeit sind allerdings die realen Löhne der Mittelschicht und Unterschicht gar nicht mehr gewachsen, und jede Art der Investition in unser globales Wirtschaftssystem hatte keine positiven Effekte auf die breite Gesellschaft. Das gesunde Maß ist heute überschritten: Das reichste 1% der Weltbevölkerung verfügt über die Hälfte des globalen Vermögens! Warum konnte sich die Schere zwischen arm und reich so weit öffnen? Ein Erklärungsversuch:

  1. Die Kapitalrenditen übersteigen das Wirtschaftswachstum. Die Kapitalrenditen auf den größten Vermögen und Kapitalanlageportfolien übertreffen das Wirtschaftswachstum und sind mit bis zu 9% (nach Abzug von Inflation und Verwaltungskosten) sehr viel höher als die Renditen auf Durchschnitts- und kleinen Vermögen. Wenn Du also 5000 EUR anlegst, profitierst Du weit weniger als wenn Du über ein Anlageportfolio von 5 Milliarden EUR verfügst. Dieser Sachverhalt ist kein Naturgesetz, sondern ergibt sich aus einer „gewollten“ Gestaltung des internationalen Finanz-Systems und aus einem internationalen Rechtsrahmen, der den Zugang zu bestimmten Finanzprodukten und Anlagemöglichkeiten reguliert. So stehen hoch spezialisierte Finanz-Derivate über Rohstoffe, die an der Börse von Hongkong gehandelt werden, Kleinsparern mit 5000 EUR nicht offen. Dafür braucht es schon sehr viel Geld. Dieser Rechtsrahmen erlaubt auch einen internationalen Finanzverkehr ohne einheitliche Besteuerung.
  2. Die Ungleichheit konnte plausibel erklärt werden. In jeder Gesellschaft gibt es ein gesundes Maß an Ungleichheit, das von allen mitgetragen werden muss. Die Eliten können nicht einfach sagen „Wir sind reich, ihr seid arm. So ist das halt.“ Es braucht mehr als das. Wenn sie allerdings sagen „Wir sind zwar reich, und ihr seid arm. Aber das fördert die Innovation und damit die gesellschaftliche Stabilität“, dann ist das eine überzeugende Geschichte, und bis vor ca. 20 Jahren war das ja auch noch so. Die Ungleichheit des 19. Jahrhunderts hatte zu Finanzkrisen und Konflikten geführt, schließlich zum ersten und zweiten Weltkrieg, zur Oktober-Revolution und zur Krise der 30er Jahre. Aufgrund dieser Ereignisse hat man in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts versucht, die Wirtschaft und den Kapitalismus in ein Regelwerk mit sozialem Sicherungssystem, einer Regulierung der Finanzmärkte und des Arbeitsrechts und mit einem progressiven Steuersystem einzubetten. Das ließ eine zumutbare Ungleichheit zu. Eine exzessive Ungleichheit wurde dadurch aber ausgeschlossen. Dieses System ermöglichte Investitionen in Infrastruktur-Projekte und Bildung. Und es resultierte in einem sozialen Konsens darüber, dass die Unter- und Mittelklasse über ihre Steuern auch ihren Beitrag zu einem neuen Sozial-System leisten müssen. Aber weil die reichsten noch einen größeren Beitrag leisteten (Spitzensteuersatz in den USA der 30er Jahre: 81%), war das sozial akzeptabel. Und Innovationskraft, Produktivität sowie Löhne und Erträge sind in dieser Zeit durch die Decke gegangen.

Menschliche Gesellschaften haben manchmal ein viel zu kurzes Gedächtnis. Die USA und England sind die beiden Länder mit dem größten Anstieg der Ungleichheit seit den 80/90er Jahren. Es gab unter Reagen und Thatcher das Versprechen von Wohlstand für alle durch die Globalisierung und den breiten Wettbewerb der Volkswirtschaften. Die Arbeiter und Mittelklasse in den beiden Ländern haben davon aber nie etwas gemerkt. Seitdem hat es keinen Versuch zur Neuorganisation der Globalisierung gegeben, von der die Gesellschaft als Ganzes hätten profitieren können. Die sich entwickelnde übermäßige Ungleichheit und das Gefühl des Abgehängt-seins hat zu einer rechten Protestbewegung und zu einer Besinnung auf nationale Grenzen geführt. Neuerdings sehen wir allerdings vielerorts ein Wiedererstarken der Sozialdemokratie mit Lösungsvorschlägen, die von der Geschichte inspiriert zu sein scheinen, mit einer Bekenntnis zu mehr sozialer Mobilität und Gerechtigkeit. 

Ein Beispiel, das mir vor ein paar Wochen aufgefallen ist: Die Initiative taxmenow, mit der Millionäre und Millionärinnen die höhere Besteuerung von Millionenvermögen fordern. Sie haben erkannt, dass Leute, die heute über ein privates (nicht betriebliches!) Vermögen von 100 Millionen EUR verfügen, ihre Arbeit und ihr Engagement nicht einstellen, wenn sie stattdessen nur über 20 Millionen EUR verfügen würden.

In diesem Sinn, Eure Astrid

2 Kommentare

  1. Die Superreichen in aller Welt leben einer Oxfam-Studie zufolge wie ökologische Vandalen. Sie verursachen demnach zigfach mehr klimaschädliche Treibhausgase als der Rest der Menschheit. Dagegen bleiben die Pro-Kopf-Emissionen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung auch 2030 weit unter der angestrebten 1,5-Grad-Grenze bei der Erderhitzung. Die reichsten zehn Prozent überschreiten den Wert 2030 aber voraussichtlich um das Neunfache, das reichste Prozent sogar um das 30-fache.
    Die Studie wurde von Oxfam auf der Weltklimakonferenz in Glasgow vorgestellt. Sie beruht nach Angaben der Entwicklungsorganisation auf Untersuchungen des Instituts für Europäische Umweltpolitik (IEEP) und des Stockholmer Umweltinstituts (SEI).
    Verweise: Weltraumtourismus siehe https://www.sueddeutsche.de/panorama/weltraumtourismus-spacex-elon-musk-jeff-bezos-dragon-jared-isaacman-inspiration-4-richard-branson-flug-all-1.5412669?reduced=true
    Gestern Yacht, heute All siehe https://www.sueddeutsche.de/panorama/weltraumtourismus-spacex-elon-musk-jeff-bezos-dragon-jared-isaacman-inspiration-4-richard-branson-flug-all-1.5412669?reduced=true

    Eine Space-X-Rakete stößt Hunderte Tonnen CO₂ aus – und der Rest der Welt soll bei der nächsten Familienreise dann wieder das Häkchen bei der „freiwilligen CO₂-Abgabe“ setzen? Über die Ignoranz reicher Weltraumtouristen.   Essay von Martin Zips
    Das reichste Prozent – das sind weniger Menschen als die Bevölkerung Deutschlands – wird laut Oxfam bis 2030 für 16 Prozent der globalen Gesamtemissionen verantwortlich sein. Nafkote Dabi, Klimaexpertin bei Oxfam, sagte dazu: „Eine kleine Elite gönnt sich einen Freifahrtschein für die Zerstörung unseres Klimas.“ Dies habe katastrophale Folgen für Millionen Menschen, die bereits jetzt mit tödlichen Stürmen, Hunger und Not konfrontiert seien. Mit einem einzigen Weltraumflug verursache ein Milliardär mehr Emissionen, als jemand aus der ärmsten Milliarde Menschen in seinem ganzen Leben zusammenbringe.
    Die Studie zeigt den Angaben zufolge zudem, dass sich die geografische Verteilung bei den Treibhausgasemissionen zunehmend nicht mehr hauptsächlich aus den traditionellen Industrieländern zusammensetzt. Fast ein Viertel (23 Prozent) des reichsten ein Prozents werden Chinesen sein und ein Zehntel (elf Prozent) Inder.
    Tim Gore, Autor der Studie bei IEEP, erklärte dazu, Regierungen müssten ihre Maßnahmen auf die extrem Reichen ausrichten. „Dazu gehören sowohl Maßnahmen zur Einschränkung des CO₂-Verbrauchs für Luxusgüter wie Megajachten, Privatjets und private Raumfahrt, als auch zur Begrenzung klimaintensiver Investitionen wie Aktienbesitz in der fossilen Brennstoffindustrie.“

    Erst am Donnerstag war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wegen eines rund 20-minütigen Charterflugs aus Wien nach Bratislava in die Kritik geraten. Sowohl vom Europäischen Steuerzahlerbund als auch aus dem Bundestag kamen deutliche Worte. Der Flug sei eine „ökologische Sünde“, sagte der Generalsekretär des Steuerzahlerbundes, Michael Jäger, der Bild-Zeitung.

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